Ghost Kitchens

Die Ghost Kitchen Revolution

Philipp Wolf
|
2.4.2023

Überdimensionierte Speisekarten sind in den Augen Vieler ein Hinweis auf den Einsatz von Convenience-Produkten. Bietet beispielsweise eine Pizzeria auch Burger, Schnitzel, Döner und Sandwiches an, ist es offensichtlich, dass die Verantwortlichen Wert auf Quantität worunter die Qualität zwangsläufig leider muss.

Und obwohl das mutmaßlich den meisten so geht, ist eben dieses Konzept der Quantität gegenwärtig dabei, den Markt für Essenslieferungen zu revolutionieren. Ob das nun gut ist, dazu später mehr.

Bei dem angesprochenen Konzept handelt es sich um so genannte Ghost Kitchens, die auch Cloud Kitchens, Dark Kitchens oder Virtual Restaurants genannt werden. Ghost Kitchens sind Küchen ohne Sitzplätze oder Servicepersonal, die ausschließlich für die Auslieferung oder auch Abholung von Essen konzipiert sind.

Dies bringt gleich mehrere Vorteile mit sich:

  • Geringere Betriebskosten: Ghost Kitchens erfordern weniger Personal, Ausrüstung und Fläche als traditionelle Restaurants. Sie können auch in günstigeren Lagen eingerichtet werden, die eine hohe Lieferdichte aufweisen.

  • Mehr Flexibilität: Ghost Kitchens können mehrere Marken oder Konzepte unter einem Dach anbieten, um verschiedene Zielgruppen und Geschmäcker anzusprechen. Sie können auch schnell auf Veränderungen im Markt oder im Kundenverhalten reagieren und ihr Angebot anpassen.

  • Höhere Effizienz: Ghost Kitchens können ihre Prozesse und Technologien optimieren, um eine schnelle und qualitativ hochwertige Lieferung zu gewährleisten. Sie können auch von Skaleneffekten profitieren, indem sie Ressourcen wie Küchengeräte oder Zutaten mit anderen Marken teilen.

  • Große Reichweite: Dank der Cloud-Lösung sind Essensmarken nicht mehr auf ein kleines Liefergebiet beschränkt, sondern können national ihre Marke positionieren, ohne gleich hunderte von Restaurants eröffnen zu müssen.

Der wohl größtmögliche Vorteil liegt in der Multibrand-Strategie der Virtuellen Restaurants. Wie eingangs erwähnt wird selten und ungerne Gyros beim "Pizza Planet" bestellt und wirklich niemand wünscht sich Sushi vom "Pommes Fritz".

Der umstrittene Mehrwert dieser "im geheimen" operierenden Restaurants ist aber, dass eine Küche diverse Gerichte zubereiten kann, in der Liefer-App selbst aber mit unterschiedlichen Marken auftritt. "Best Burger", "Pizza Planet " und "Pommes Fritz" (übrigens alles ausgedachte Marken) treten in der App alle als eigenständige Marken auf. Zubereitet wird aber alles in einer Küche. Der oder die Kund*in bekommt davon in der Regel nichts mit.

So viel zu den Vorteilen. Kommen wir zu den unterschiedlichen Modellen der Geisterküchen. Diese lassen sich in vier Haupttypen clustern:

  • Eigenständige Ghost Kitchens: Dies sind Küchen, die nur für die Lieferung von Essen an Kunden konzipiert sind. Sie können entweder eine einzelne Marke oder mehrere Marken unter einem Dach anbieten.

  • Hybride Ghost Kitchens: Dies sind Küchen, die sowohl über einen Speisesaal als auch über einen Lieferdienst verfügen. Sie können entweder ihre bestehende Marke oder zusätzliche Marken für die Lieferung nutzen. Ein Beispiel für eine hybride Ghost Kitchen ist Enchilada Gruppe, eine deutsche Restaurantkette, die eine Ghost Kitchen-Plattform plant, die alle ihre Konzepte in einem “Food Court” anbietet.

  • Hosted Ghost Kitchens: Dies sind Küchen, die von einem Drittanbieter bereitgestellt werden, der den Restaurantbetreibern Raum und Ausrüstung vermietet oder zur Verfügung stellt. Sie ermöglichen es den Restaurantbetreibern, schnell und kostengünstig in neue Märkte einzutreten oder neue Konzepte zu testen.

  • Aggregierte Ghost Kitchens: Dies sind Küchen, die von einer Lieferplattform betrieben werden, die mehrere Marken und Menüs anbietet. Sie ermöglichen es den Lieferplattformen, ihre eigenen Daten zu nutzen, um das Angebot an die Nachfrage der Kund*innen anzupassen und ihre Margen zu erhöhen. Ein Beispiel für eine aggregierte Ghost Kitchen ist Deliveroo Editions, ein Service von Deliveroo, der maßgeschneiderte Küchen für ausgewählte Restaurants erstellt.

Alle diese Konzepte gibt es bereits seit einigen Jahren, doch wie die gesamte Lieferbranche, haben auch Ghost Kitchens enorm von der Covid-19-Pandemie profitiert und dessen Wachstum beschleunigt. Nach Schätzungen von Euromonitor, gibt es derzeit etwa 1.500 Ghost Kitchens in den USA. Im Vereinigten Königreich sind es annähernd 750. Beides deutlich weniger, wie in den Vorreiterländern China (>7.500) und Indien (>3.500).

Euromonitor geht davon aus, dass Ghost Kitchens bis 2030 einen globalen Markt von einer Billion Dollar schaffen könnten.

Bei diesen Aussichten ist es kein Wunder, dass es bereits diverse Player gibt, die ein Teil vom Kuchen abhaben wollen. Zu den wohl größten im westlichen Raum gehören...

  • Kitchen United, ein Chicagoer Unternehmen, dass gleich mehrere Restaurants unter einem Dach vereint und den Kund*innen die Möglichkeit bietet, online aus verschiedenen Küchen zu bestellen und abzuholen. Kitchen United bietet den Restaurantbetreibern ausgestattete Küchenräume, Marketingunterstützung und Zugang zu Lieferplattformen an und plant dank Millionen-Investment, seine Präsenz in den USA weiter auszubauen.
  • Reef Technology ist eine Ghost Kitchen, die Parkplätze in dicht besiedelten Gebieten nutzt, um mobile Küchencontainer aufzustellen, die verschiedene Marken und Menüs anbieten. Reef Technology arbeitet mit bestehenden Restaurants und neuen Konzepten zusammen, um ihnen einen niedrigschwelligen Einstieg in neue Märkte zu ermöglichen.
  • CloudKitchens hingegen verwandelt leerstehende Immobilien in Küchenzentren, die mehrere virtuelle Marken beherbergen. Das vom ehemaligen Uber-CEO Travis Kalanick gegründete CloudKitchens bietet Restaurantbetreibern nicht nur Küchenflächen, sondern auch Softwarelösungen für Bestellungen, Zahlungen und Datenanalyse an und sammelte bereits über 400 Millionen Dollar an Investitionen ein.

Und natürlich gibt es auch in Deutschland einige Unternehmen, die sich den Trend nicht entgehen lassen, beispielsweise EatDINE, Eatclever und Cloud Eatery.

Werfen wir nun mal einen Blick auf die Best Practices:

Da wäre beispielsweise die Marke Heinz, die es Londonern ermöglicht, sich ihr Heinz-Frühstück direkt an ihre Tür liefern zu lassen. Die Initiative ist Teil der Feierlichkeiten zum 150-jährigen Jubiläum von Heinz und bietet eine Auswahl an klassischen britischen Frühstücksgerichten wie Baked Beans on Toast, Egg & Soldiers oder Full English Breakfast an. Sicherlich kein tragendes Konzept, aber eine nette Marketingidee.

Und auch Getränkegigant PepsiCo hat Ghost Kitchens bereits für sich entdeckt und startete im vergangenen Jahr einen eigenen Virtuellen-Service namens Pep’s Place. Pep’s Place bietet verschiedene Getränke des Konzern und passenden Speisen aus verschiedenen Marken wie Frito-Lay oder Quaker Oats an, die miteinander kombiniert werden können. Kund*innen können ihre Bestellungen über die Pep’s Place-Website oder -App aufgeben und sich innerhalb von 30 Minuten liefern lassen.

Außerdem wäre da noch Kroger die in Zusammenarbeit mit Kitchen United und ClusterTruck Geisterküchen in einigen ihrer Supermarktfilialen eingerichtet haben. Kund*innen können aus einem vielfältigen Menü von über 80 Gerichten wählen und ihre Bestellungen über die Kroger-App oder -Website aufgeben. Für Kroger bedeutet dies eine Erweiterung seines Angebots an frischen und bequemen Lebensmitteln sowie eine bessere Nutzung seiner Ladenfläche.

MrBeast liefert das Ghost Kitchen Playbook für Influencer

Doch kommen wir zum König der Ghost Kitchens: MrBeast. Allseits bekannt als der weltweit erfolgreichste YouTuber, der 2020 ein immenses Ziel aufstellte. Jeder Amerikaner sollte seinen MrBeast Burger essen können. Heute produzieren über 800 US-Restaurants den MrBeast Burger, der schon längst um eine größere Auswahl einschlägiger Produkte erweitert wurde.

Der Clou hinter der Story: Auf keinem einzigen dieser Restaurants ist ein "MrBeast Burger"-Schild zu sehen. Es handelt sich um Ghost Kitchens unterschiedlichster Art, die quasi im "Backend" die Rezepte nachkochen und eingehende Bestellungen annehmen und ausliefern. Im "Frontend" bestellen aber alle beim MrBeat Burger.

Der YouTuber hat es somit geschafft, seine Bekanntheit und Reichweit sowie die Treue seiner Fans noch weiter zu monetarisieren und dürfte monatlich tausende Dollar Gastronomie-Umsatz machen, ohne auch nur ein einziges Restaurant eröffnet zu haben.

Die Dunkle Seite der Dark Kitchens

Bei all dem Hype um diese Gastro-Revolution gibt es wie immer auch Schattenseiten. Zoe Williams vom britischen Guardian tauchte vergangenes Jahr tiefer in die Szene ein. Sie beschreibt Gespräche mit Angestellten die von extremen Stress und geringen Löhnen erzählen.

In ihrem Artikel kritisiert sie aber nicht nur die Rolle der Lieferplattformen, die einen großen Teil der Einnahmen einbehalten sondern hinterfragt auch die Qualität und Nachhaltigkeit der Speisen sowie die Auswirkungen auf das traditionelle Restaurantgeschäft. Sie fordert mehr Transparenz und Regulierung für diese Branche sowie mehr Anerkennung und Schutz für die Arbeiter*innen.

Etwas unterhaltsamer gestaltet es Eddy Burback, selbst YouTuber, der das Phänomen der Ghost Kitchens in diesem Video einmal genauer unter die Lupe genommen hat. Zusammengefasst kann man sagen, dass er dem Guardian-Artikel im wesentlichen Zustimmt. Burback geht aber auch nochmal explizit auf die Rolle von MrBeast ein  - ebenfallt mit keinem guten Fazit.

Aussichten

Wie geht es nun weiter mit dem Modell? Es ist anzunehmen, dass diese Cloud-Systeme nicht mehr verschwinden und zu einem festen Bestandteil der Liefer-Gastronomie werden. Doch ihre Zukunft hängt von mehreren Faktoren ab:

  • Die Nachfrage nach Liefer- und Abholspeisen: Wenn die Kunden weiterhin den Komfort und die Vielfalt von Liefer- und Abholspeisen schätzen, werden Ghostkitchens wahrscheinlich weiter wachsen und expandieren. Wenn die Kunden jedoch wieder mehr Wert auf das Erlebnis und die Atmosphäre von Restaurants legen, könnten Ghostkitchens an Attraktivität verlieren.
  • Die Regulierung der Gastronomiebranche: Wenn die Behörden strenge Vorschriften für Ghostkitchens erlassen, wie zum Beispiel Hygiene-, Sicherheits- oder Steuerstandards, könnten Ghostkitchens höhere Kosten und Risiken haben. Wenn die Behörden jedoch Ghostkitchens fördern oder unterstützen, wie zum Beispiel durch Subventionen oder Genehmigungen, könnten Ghostkitchens mehr Vorteile haben.
  • Die Konkurrenz zwischen den Akteuren der Gastronomiebranche: Wenn die etablierten Restaurants oder Marken ihre eigenen Ghost Kitchens aufbauen oder mit anderen Anbietern kooperieren, könnten sie ihre Marktanteile verteidigen oder erhöhen. Wenn sie jedoch keine Ghost Kitchens nutzen oder sich gegen sie wehren, könnten sie Marktanteile verlieren oder zurückfallen.

Also, warten wir einmal ab, wie sich der Markt weiterentwickelt und ob die Kritiker*innen recht behalten sollen.

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