Überdimensionierte Speisekarten sind in den Augen Vieler ein Hinweis auf den Einsatz von Convenience-Produkten. Bietet beispielsweise eine Pizzeria auch Burger, Schnitzel, Döner und Sandwiches an, ist es offensichtlich, dass die Verantwortlichen Wert auf Quantität worunter die Qualität zwangsläufig leider muss.
Und obwohl das mutmaßlich den meisten so geht, ist eben dieses Konzept der Quantität gegenwärtig dabei, den Markt für Essenslieferungen zu revolutionieren. Ob das nun gut ist, dazu später mehr.
Bei dem angesprochenen Konzept handelt es sich um so genannte Ghost Kitchens, die auch Cloud Kitchens, Dark Kitchens oder Virtual Restaurants genannt werden. Ghost Kitchens sind Küchen ohne Sitzplätze oder Servicepersonal, die ausschließlich für die Auslieferung oder auch Abholung von Essen konzipiert sind.
Dies bringt gleich mehrere Vorteile mit sich:
Der wohl größtmögliche Vorteil liegt in der Multibrand-Strategie der Virtuellen Restaurants. Wie eingangs erwähnt wird selten und ungerne Gyros beim "Pizza Planet" bestellt und wirklich niemand wünscht sich Sushi vom "Pommes Fritz".
Der umstrittene Mehrwert dieser "im geheimen" operierenden Restaurants ist aber, dass eine Küche diverse Gerichte zubereiten kann, in der Liefer-App selbst aber mit unterschiedlichen Marken auftritt. "Best Burger", "Pizza Planet " und "Pommes Fritz" (übrigens alles ausgedachte Marken) treten in der App alle als eigenständige Marken auf. Zubereitet wird aber alles in einer Küche. Der oder die Kund*in bekommt davon in der Regel nichts mit.
So viel zu den Vorteilen. Kommen wir zu den unterschiedlichen Modellen der Geisterküchen. Diese lassen sich in vier Haupttypen clustern:
Alle diese Konzepte gibt es bereits seit einigen Jahren, doch wie die gesamte Lieferbranche, haben auch Ghost Kitchens enorm von der Covid-19-Pandemie profitiert und dessen Wachstum beschleunigt. Nach Schätzungen von Euromonitor, gibt es derzeit etwa 1.500 Ghost Kitchens in den USA. Im Vereinigten Königreich sind es annähernd 750. Beides deutlich weniger, wie in den Vorreiterländern China (>7.500) und Indien (>3.500).
Euromonitor geht davon aus, dass Ghost Kitchens bis 2030 einen globalen Markt von einer Billion Dollar schaffen könnten.
Bei diesen Aussichten ist es kein Wunder, dass es bereits diverse Player gibt, die ein Teil vom Kuchen abhaben wollen. Zu den wohl größten im westlichen Raum gehören...
Und natürlich gibt es auch in Deutschland einige Unternehmen, die sich den Trend nicht entgehen lassen, beispielsweise EatDINE, Eatclever und Cloud Eatery.
Werfen wir nun mal einen Blick auf die Best Practices:
Da wäre beispielsweise die Marke Heinz, die es Londonern ermöglicht, sich ihr Heinz-Frühstück direkt an ihre Tür liefern zu lassen. Die Initiative ist Teil der Feierlichkeiten zum 150-jährigen Jubiläum von Heinz und bietet eine Auswahl an klassischen britischen Frühstücksgerichten wie Baked Beans on Toast, Egg & Soldiers oder Full English Breakfast an. Sicherlich kein tragendes Konzept, aber eine nette Marketingidee.
Und auch Getränkegigant PepsiCo hat Ghost Kitchens bereits für sich entdeckt und startete im vergangenen Jahr einen eigenen Virtuellen-Service namens Pep’s Place. Pep’s Place bietet verschiedene Getränke des Konzern und passenden Speisen aus verschiedenen Marken wie Frito-Lay oder Quaker Oats an, die miteinander kombiniert werden können. Kund*innen können ihre Bestellungen über die Pep’s Place-Website oder -App aufgeben und sich innerhalb von 30 Minuten liefern lassen.
Außerdem wäre da noch Kroger die in Zusammenarbeit mit Kitchen United und ClusterTruck Geisterküchen in einigen ihrer Supermarktfilialen eingerichtet haben. Kund*innen können aus einem vielfältigen Menü von über 80 Gerichten wählen und ihre Bestellungen über die Kroger-App oder -Website aufgeben. Für Kroger bedeutet dies eine Erweiterung seines Angebots an frischen und bequemen Lebensmitteln sowie eine bessere Nutzung seiner Ladenfläche.
Doch kommen wir zum König der Ghost Kitchens: MrBeast. Allseits bekannt als der weltweit erfolgreichste YouTuber, der 2020 ein immenses Ziel aufstellte. Jeder Amerikaner sollte seinen MrBeast Burger essen können. Heute produzieren über 800 US-Restaurants den MrBeast Burger, der schon längst um eine größere Auswahl einschlägiger Produkte erweitert wurde.
Der Clou hinter der Story: Auf keinem einzigen dieser Restaurants ist ein "MrBeast Burger"-Schild zu sehen. Es handelt sich um Ghost Kitchens unterschiedlichster Art, die quasi im "Backend" die Rezepte nachkochen und eingehende Bestellungen annehmen und ausliefern. Im "Frontend" bestellen aber alle beim MrBeat Burger.
Der YouTuber hat es somit geschafft, seine Bekanntheit und Reichweit sowie die Treue seiner Fans noch weiter zu monetarisieren und dürfte monatlich tausende Dollar Gastronomie-Umsatz machen, ohne auch nur ein einziges Restaurant eröffnet zu haben.
Bei all dem Hype um diese Gastro-Revolution gibt es wie immer auch Schattenseiten. Zoe Williams vom britischen Guardian tauchte vergangenes Jahr tiefer in die Szene ein. Sie beschreibt Gespräche mit Angestellten die von extremen Stress und geringen Löhnen erzählen.
In ihrem Artikel kritisiert sie aber nicht nur die Rolle der Lieferplattformen, die einen großen Teil der Einnahmen einbehalten sondern hinterfragt auch die Qualität und Nachhaltigkeit der Speisen sowie die Auswirkungen auf das traditionelle Restaurantgeschäft. Sie fordert mehr Transparenz und Regulierung für diese Branche sowie mehr Anerkennung und Schutz für die Arbeiter*innen.
Etwas unterhaltsamer gestaltet es Eddy Burback, selbst YouTuber, der das Phänomen der Ghost Kitchens in diesem Video einmal genauer unter die Lupe genommen hat. Zusammengefasst kann man sagen, dass er dem Guardian-Artikel im wesentlichen Zustimmt. Burback geht aber auch nochmal explizit auf die Rolle von MrBeast ein - ebenfallt mit keinem guten Fazit.
Wie geht es nun weiter mit dem Modell? Es ist anzunehmen, dass diese Cloud-Systeme nicht mehr verschwinden und zu einem festen Bestandteil der Liefer-Gastronomie werden. Doch ihre Zukunft hängt von mehreren Faktoren ab:
Also, warten wir einmal ab, wie sich der Markt weiterentwickelt und ob die Kritiker*innen recht behalten sollen.
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